Interview von Magdalene Lampl, mit Esther Dürr



Das folgende Interview wurde Anfang Mai 2015 von der Studentin der Fachhochschule Dornbirn, Magdalene Lampl, mit Esther Dürr - einer freien Mitarbeiterin des Instituts ISCHAP und Mitglied der Arbeitsgruppe “Schicksalsanalyse und Graphologie” - geführt. Frau Lampl absolviert den Studiengang InterMedia und macht eine Bachelor-Abschlussarbeit zum Thema Schulschriften.



Esther Dürr, dipl. Graphologin SGB/EGS, CH-8304 Wallisellen Mitglied der graphologischen und schicksalsanalytischen Szondi-Fachgruppe in Zürich



Magdalena Lampl: Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Aspekte einer kindergerechten Schulschrift?

Esther Dürr: Aus der Sichtweise der Graphologin gehören zu einer kindergerechten Schulschrift ganz generell die Elemente der Bewegungs-, Form- und Raumgestaltung. Diese er-scheinen demzufolge – und sie sind graphologisch deutbar - auch als der Ausdruck in einer Schulschrift, was die Persönlichkeit des Kindes widerspiegelt. Jedes Kind hat sein persönliches Bedürfnis, um seinen Bewegungsdrang, seine Form- und Raumgestaltung ausleben zu können. Im Vergleich zur alten Schnürlischrift ist mit der neuen Basisschrift allerdings eine deutliche Reduktion von Bewegungs-, Form- und Raumgestaltung sichtbar.

Schrift widerspiegelt Persönlichkeit. Glauben Sie, dass, unabhängig von der Art und Weise der gelernten Schulschrift, sich eine eigene Schrift entwickeln wird?

Ja, dies ist unbestritten. Auch hier kann ganz generell gesagt werden, dass sich jede Schulschrift schrittweise zu einer persönlichen Schrift entwickelt. In der Unterstufe, also beim Erlernen der Schulschrift, steht - völlig unabhängig von der Ausgangsschrift - die Schriftvorlage im Vordergrund. Das Schulkind ist bemüht, die vorgegebenen Formen möglichst getreu zu kopieren; eine individuelle Schrift ist hier noch nicht möglich und ist auch nicht gegeben. Es ist daher eher ein hoher Versteifungsgrad zu sehen, welcher auf die geringere Schreibfertigkeit hinweist. In der Mittelstufe automatisiert sich die Schrift allmählich und entwickelt sich mehr und mehr zur Eigenständigkeit. In der Oberstufe haben sich dann je nach Reifungsgrad des Kindes die Schriftzüge individualisiert; die Bildung der persönlichen Schrift ist eingeleitet und entfaltet sich den Möglichkeiten des Individuums entsprechend weiter.

Die Basisschrift wurde von einem Typographen, Hans Eduard Meier, erarbeitet und zusammen mit Dozenten der PH Luzern, welche den didaktischen Aspekt berücksichtigten, weiterentwickelt. Was meinen Sie dazu?

Aus graphologischer Sicht steht unsere schicksalsanalytisch orientierte Szondi-Fachgruppe der neuen Basisschrift etwas skeptisch gegenüber, da der Schreibfluss unserer Meinung nach beeinträchtigt ist. Im Vergleich zur Schnürlischrift finden vermehrt Unterbrechungen in der Verbindung von Buchstabe zu Buchstabe statt, was einem flüssigen und natürlichen Bewegungsablauf widerspricht. Ebenso fehlt uns das Angebot der Formenvielfalt, wo das Schulkind die Möglichkeit hat, mit zunehmender Schreibfertigkeit die Formen selber abzuändern und zu gestalten. Die Basisschrift ist auf ein Minimum an Formung, und auch von der Bewegung her, reduziert worden, was den kreativen und schöpferischen Schreibvorgang einschränken dürfte.

Ist die Freiheit, dass die Kinder selber entscheiden können, welche Buchstaben sie verbinden, sinnvoll?

Ja, ich empfinde es als sehr wichtig, dass das Schulkind sich lust- und freudvoll dem Schreiben widmen kann, es seinen Bedürfnissen entsprechend den Schreibraum ausfüllen und gestalterisch wirken darf. Eine Einschränkung dürfte für die Entwicklung des jungen Menschen kontraproduktiv sein. Meiner Meinung nach hat der Schreibprozess einen grossen Einfluss auf das innerseelische Empfinden, dort also, wo das kreative und schöpferische Potential liegt. Das einzige Kriterium – oder auch die Bedingung - ist für mich, dass die Schrift lesbar und ordentlich ist.

Was ist positiv/negativ an der Schnürlischrift?

Die alte Schnürlischrift entsprach mehr den Wünschen der Bewegungs-, Form- und Raum-gestaltung. Der Freiraum zur Weiterentwicklung zur eigenen Schrift war grösser, da der Schüler mit zunehmendem Alter selber entscheiden konnte, welche Buchstaben er verbinden und wo er Vereinfachungen oder Verschnörkelungen anbringen wollte. Der Schreibfluss war durch die vorgegebene Schnürlischrift gegeben, was auch aus schicksalsanalytischer Sicht zu begrüssen war. Assoziatives und verbindendes Denken wurde auf diese Wei-se automatisch geschult und gefördert.

Ist es für Kinder schwierig, erst eine Druckschrift und dann die Schnürlischrift zu lernen? Ist das neue System besser?

Dies kann ich nicht wirklich beurteilen, da ich selber und auch meine Kinder mit dem alten Schreibsystem gross geworden sind. Einen „Schaden“ haben wir nicht genommen, und es haben sich ganz persönliche Schriften aus der Schnürlischrift entwickelt.

In Finnland lernen Kinder nur noch Druckschrift und keine Schreibschrift mehr, dafür wird vermehrt Wert auf den Tippunterricht ab der ersten Klasse gelegt. Wie bewerten Sie das?

Sicher geht auf diese Weise auch ein Kulturgut verloren. Einen handschriftlichen Brief zu erhalten, so denke ich wenigstens, wird immer eine persönliche Note sowohl für den Schreiber als auch für den Empfänger beinhalten. Man nimmt sich Zeit für das Schreiben, was auch eine Wertschätzung für das Gegenüber bedeutet.

Glauben Sie, dass die Handschrift ausstirbt?

Das hoffe ich nicht!

Wieso ist sie so wichtig?

Ein zusätzlicher Aspekt kommt auch aus der Hirnforschung. Beim Schreibprozess sind die linke und die rechte Hirnhälfte mit einbezogen. Bei der neuen Basisschrift liegt jedoch der Schwerpunkt mehrheitlich auf der linken Hirnhälfte, was die Logikhemisphäre betrifft. Die Gestalthemisphäre, also auch das Kreative und Schöpferische, kommt meines Erachtens zu kurz. Und dies ist von der innerseelischen Basis aus betrachtet wirklich ein Mangel und dürfte auf den leiblich-seelisch und geistigen Prozess einen nicht unbedeutenden Einfluss haben. Eine Hemmung im Schreib- und Gestaltungsfluss könnte sogar eine Einschränkung in der Persönlichkeitsentwicklung zur Folge haben.



Gerne verweise ich noch auf die nachstehenden Links zu diesem Thema:
graphologie-news.net/cms/upload/archiv/basisschrift.pdf
ines-graemiger.ch, Graphologie, zur Findung einer neuen Schulschrift