Das Bedürfnissystem der Schicksalspsychologie

L. Szondi postuliert 8 Grundbedürfnisse (oder Triebbedürfnisse) des Menschen, zu denen man je bejahend oder ablehnend (sympathisch oder antipathisch) Stellung nehmen kann (sodass daraus 16 Tendenzen entstehen).

2 Bedürfnisse bilden jeweils zusammen einen Trieb. Daher gibt es 4 Triebe im Menschen.

„Das Triebschema ist geprägt durch die Vierzahl.

Es besteht aus vier Trieben, acht Triebbedürfnissen mit je zwei Triebtendenzen.

  • Der Sexualtrieb besteht im Zusammenwirken der Bedürfnisse nach sinnlicher und sublimierter Zärtlichkeit sowie nach Aktivität und Hingabe.
  • Der Ueberraschungstrieb wird von Bedürfnissen und Strebungen des menschlichen Affektlebens geprägt, die sich als Impulsivität, Wut, Angst und Gerechtigkeitssinn sowie Scham und Geltungsdrang manifestieren.
  • Der Ichtrieb beinhaltet die beiden Bedürfnisse nach Sein und Haben, ebenso die Strebungen nach Ichausdehnung (Inflation), Teilhabe (Partizipation), nach seelischer Einverleibung (Introjektion)
    und Verneinung (Negation).
  • Der Kontakttrieb umfasst die Bedürfnisse und Strebungen nach Bindung, Ablösung, nach Verändern und Verharren.


Für einen Trieb ergeben sich insgesamt 16, für alle vier Triebe insgesamt 64 Triebkonstellationen.

Sie bilden nach Szondi die genetisch verankerten Bausteine der menschlichen Schicksalspläne und Existenzformen…

Das schickalsanalytische Triebsystem erwies sich seit seinen Anfängen als ausserordentlich integrativ.

In ihm finden sich die vier psychiatrischen Erbkreise der dreissiger und vierziger Jahre, neu jedoch von Szondi als Schicksalskreise gedeutet:

der Erbkreis der sexuellen Abweichungen…
der epileptiforme-paroxysmale Erbkreis,
der schizoforme Erbkreis
und der zirkuläre, manisch-depressive Erbkreis.

Szondi vermochte nicht nur die Trieblehre, Bedürfnispsychologie und Krankheitslehre der Psychoanalyse voll einzugliedern, sondern brachte triebpsychologische Differenzierungen ein, die sich gegenüber dem Triebsysstem der frühen Psychoanalyse als differenzierter und der therapeutischen Praxis als angemessener erwiesen.

So unterschied er neben libidinös-sexuellen, auf dem Sexualtrieb basierenden Bindungsformen eigenständige, dem Ichtrieb zugehörige partizipativ-verschmelzende Formen der Bindung, in denen die Bedürfnisse nach Einssein und Verwandtsein gelebt werden.

Ebenso ordnete er neu einem eigenständigen Kontakttrieb Beziehungsformen zu, die geprägt werden von den Bedürfnissen nach Angenommensein, Halt, Sicherheit und Ernährtwerden…

Die Konzeption eines eigenständigen Kontakttriebes rückt in die Nähe der viel später von John Bowlby entwickelten Bindungstheorie. Szondi wie Bowlby berücksichtigen bei ihren Untersuchungen und Ueberlegungen zum Bindungsverhalten auch verhaltensbiologische Forschungen.“

(Karl Bürgi-Meyer, „Leopold Szondi – Schicksal zwischen Freiheit und Zwang“ in Schriftenreihe „Die Brücke“, Heft 2, 2008, Szondi – Institut, Zürich, S. 12 f. Andere Darstellung und Fettschreibung des Textes durch I.Grämiger)

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